Skiferien mit den Beatles in der Schweiz - Chaos oder Bergidylle?

Veröffentlicht von René

«Beatlemania» in Zürich 1964 - © Comet / ETH Bildarchiv

Stellen Sie sich vor, Sie sind in den Skiferien im wunderschönen Graubünden und beim Abendessen im recht schwach besuchten Restaurant erhebt sich plötzlich Paul McCartney höchstpersönlich von seinem Platz in einer ruhigen Ecke, setzt sich an das Klavier in der Stube und spielt ein halbfertiges Lied, das er gerade für die Beatles geschrieben hat. Genau diese surreale Geschichte durften im Jahr 1966 die Gäste eines Restaurants im Prättigau erleben. Obwohl die Beatles kein einziges Konzert in der Schweiz spielten, zog sie doch irgendetwas immer wieder dorthin. Anders, als man vermuten mag, hinterließen sie keine allzugroßen Spuren oder gar ohnmächtige Mädchen wie in anderen Ländern. Dennoch hatte die Magie der Schweiz einen bemerkenswerten Einfluss auf die vier Musik-Legenden aus Liverpool. Nicht einmal auf abgelegenen Karibikinseln konnten sie sich so frei bewegen und so gut entspannen, ohne von lästigen Fotografen und aufdringlichen Fans verfolgt zu werden.

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«Beatlemania» in Zürich

Kreischende Fans und kollektive Ohnmachtsanfälle waren in den frühen 1960er Jahren an der Tagesordnung, wo auch immer die pilzköpfigen Helden der Teenager auftauchten. John Lennon scherzte später, die Beatles seien «berühmter als Jesus». Nur in der Schweiz waren die Beatles noch recht unbekannt. Erst als eine Schweizer Zeitung Ende 1963 über das Phänomen «Beatlemania» berichtete, wuchs allmählich die Neugier der Schweizer Öffentlichkeit. Im Radio wurden Songs der Beatles und anderer, populärer Musiker aus Sorge um die Jugendlichen und Angst vor chaotischen Zuständen nur äußerst selten gespielt. Schallplatten der Beatles waren ebenfalls sehr rar, weil diese nur in kleinen Auflagen als Sondereditionen für den Schweizer Markt produziert wurden, wo Promotion via Rundfunk mangels Interesse der Sender kaum möglich war. Dennoch blieben die Beatles und Rock'n'Roll der Schweizer Jugend nicht ganz verborgen. In den großen Städten wurden Rock'n'Roll-Bands gegründet und eine Art Parallelkultur spross abseits des Einflusses der öffentlich rechtlichen Sendeanstalten empor.

Auf ihrer Welttournee im Juni 1964 reisten die Beatles von London nach Hongkong. Weil Non-Stop-Flüge auf derart langen Strecken damals noch nicht möglich waren, mussten Zwischenstops eingelegt werden. Einigen hundert Fans entging in diesem Fall nicht, dass die Beatles auf ihrem Weg nach Hongkong neben Beirut, Karachi und Kalkutta auch Zürich anfliegen würden. Die Besucherterrassen am Flughafen Kloten waren entsprechend voll besetzt und ein großes Aufgebot von Polizisten und Reportern beobachtete aufmerksam und besorgt das Geschehen. Chaos und Ohnmachtsanfälle blieben zur Erleichterung der Polizisten und zur Enttäuschung der Reporter jedoch aus. Als die Beatles die Maschine verließen wurde eifrig gejubelt und applaudiert. Die Zürcher Rock'n'Roll Band «Les Sauterelles» um den heute schweizweit berühmten Frontmann Toni Vescoli hatte sich samt Schlagzeug und Gitarrenverstärker auf einer Besucherterrasse aufgestellt und den Beatles als Ständchen eine merkwürdige Version des Zürcher Sechseläuten Marsches im Stil der Band «The Shadows» gespielt. Die Beatles wurden zügig in ihre Lounge eskortiert, hielten aber für einen Augenblick inne, um den Fans freundlich zuzuwinken und die sogenannten «Swiss Beatles» zu beklatschen. Nach wenigen Sekunden waren John, Paul und George bereits im Flughafengebäude verschwunden. Schlagzeuger Ringo Starr fehlte, denn er wurde auf dieser Tour von Jimmie Nicol ersetzt, weil er sich in London die Mandeln entfernen ließ. Auch die Besucherterrassen leerten sich zügig und ohne Zwischenfälle. Trotzdem widmete der «Blick» dem kurzen Ereignis und den «Meistersingern mit nervösem Haarschnitt» eine ganze Seite.

Die Beatles am Flughafen Zürich - © ETH Bildarchiv / Jack Metzger
Beatles-Fans auf den Besucherterrassen - © ETH Bildarchiv / Jack Metzger
«Les Sauterelles» spielen für die Beatles - © ETH Bildarchiv / Jack Metzger

Einen Monat später kam der Film «A Hard Day's Night» mit dem deutschen Titel «Yeah! Yeah! Yeah!» in die damals noch sehr wenigen großen Kinos der Schweiz. Das Schweizer Fernsehen berichtete über die Filmpremiere in Zürich, die eigentliche Sensation seien die über 100 «Siebzig- bis Hundertjährigen» gewesen, welche die Vorstellung besuchten und gegenüber einer «Handvoll Teenagern, die das Bild nicht sonderlich beleben konnten,» deutlich in der Überzahl waren. Sie fanden den Film unterhaltsam und die Beatles überraschend «sympathisch und sogar wohlerzogen». In anderen Ländern löste der Film einen unglaublichen Ansturm auf die Kinokassen aus und chaotische Zustände in den Kinosälen wie auf Konzerten. Um aber die öffentliche Ordnung der «gesitteten Schweiz» wenigstens halbwegs zu wahren, verschenkten die Stadt und Veranstalter den größten Teil der Eintrittskarten vorsorglich an die Bewohner der Altenheime Zürichs, anstatt sie an jugendliche Fans zu verkaufen.


Ein Refugium für John Lennon und Paul McCartney in Graubünden

Auch im Jahr 1965 hatten die Beatles bis dato noch kein Konzert in der Schweiz gespielt. Ihre Interessen galten der großen, weiten Welt, dem Luxus und dem Rockstarleben und weniger der ruhigen Bergidylle. Inzwischen standen die Dreharbeiten zu ihrem zweiten Kinofilm bevor, der ihr neues und gleichnamiges Album «Help!» beflügeln sollte. Im Film sollten die Beatles vor einem mörderischen Sektenführer mit seinen Schergen und zwei größenwahnsinnigen Wissenschaftlern um den Globus fliehen. Dabei versuchen sie auch, sich in den friedlichen Alpen, getarnt als gewöhnliche Wintersporttouristen, zu verstecken. Erwartungsgemäß fliegt ihre Tarnung auf und sie müssen auf Skiern vor ihren Widersachern fliehen. Das Problem daran: John, Paul, George und Ringo konnten nicht skifahren und mussten für diese Szenen durch Stunt-Doubles ersetzt werden. John Lennon beschloss dennoch, gemeinsam mit seiner ersten Frau Cynthia und Produzent George Martin sowie dessen Frau das Skifahren zu lernen, bevor er sich beim Filmdreh blamieren würde. Sie reisten nach St. Moritz, weil in der «gesitteten Schweiz» die Gefahr, von kreischenden Fans belagert zu werden, am geringsten war. Dort genoss er gerne das Nachtleben und tauschte sich mit einheimischen Musikern aus. Wie die ruhige Bergidylle des verschneiten Engadins auf ihn wirkte, ist in seinem Song «Norwegian Wood» sogar hörbar, den er ebendort schrieb. Der Text bezieht sich allerdings auf den Bruder von Paul McCartneys damaliger Freundin, der gerne damit prahlte, sein Zimmer mit «norwegischem Holz» vertäfelt zu haben, was eigentlich nur billiges Fichtenholz war.

John Lennon und Cynthia in St. Moritz - © ETH Bildarchiv / Hans Gerber
John Lennon in St. Moritz 1965 - © ETH Bildarchiv / Hans Gerber


Die Ski-Szenen für den Film «Help» wurden kurz darauf in Obertauern in Österreich gedreht. Von ruhiger Bergidylle war dort im Gegensatz zur Schweiz keine Spur. Sogar die einheimischen Stunt-Doubles, die hauptberuflich beispielsweise am Skilift arbeiteten, wurden von aufdringlichen und kreischenden Fans belagert und für die echten Beatles gehalten, welche an diesem Drehtag nicht einmal am Set waren. Immerhin hatten die Doubles großen Spaß daran, nur für einen Tag berühmt zu sein und als «John, Paul, George und Ringo» Autogramme zu geben. Bemerkt hat die Verwechslung jedenfalls niemand.

Dreharbeiten zu «Help!» in Obertauern - © Tourismusverband Obertauern

John Lennon schwärmte Paul McCartney, der auch großen Spaß an den Dreharbeiten im Schnee hatte, von seinem friedlichen und unbehelligten Urlaub in Graubünden vor. Schon im März 1966 reiste Paul mit seiner Freundin Jane Asher nach Klosters bei Davos, um das Skifahren zu lernen. Zur Sicherheit reisten sie mit einem Aston Martin DB5 an, um im Fall, belagert zu werden, schnell abreisen zu können. John hatte jedoch recht und sie verbrachten einen zweiwöchigen, wunderschönen und ruhigen Urlaub im damals nagelneu erbauten Chalet «Casa Rosemarie». Niemand erkannte ihn dort. Selbst John Christoffel, sein Skilehrer war über das luxoriöse James-Bond-Auto verwundert und fragte Paul, was er beruflich mache. Paul legte die Beatles-Platte «Michelle» auf und sagte: «Das mache ich!»

Paul McCartney 1966 im Chalet «Casa Rosemarie» Klosters
Paul und Jane 1966 in Klosters


Wie John und Cynthia gingen auch Paul und Jane abends gerne aus und besuchten sogar begeistert ein Traditionsfest. Am nächsten Morgen wollte er mit seinem Vermieter zusammen beim Frühstück jodeln. Am Abend in einem Restaurant in Conters setzte sich Paul spontan an ein Klavier und spielte den übrigen fünf Gästen den Song «Eleanor Rigby» vor, den er kürzlich erst geschrieben hatte. Die Beatles als Band haben diesen Song nie live gespielt. Im Buch «The Beatles Anthology» erzählt McCartney weiter, wie sehr es ihm dort gefallen habe und dass er dort auch das Lied «For No One» schrieb. In dieser turbulenten Zeit des unermesslichen Erfolgs war ein Urlaub in der Schweiz genau das, was Paul und John zu neuer Inspiration und Kraft verhalf. Ins Gästebuch des Chalets schrieb er: «Wonderful chalet, wonderful holiday». Heute steht das 5-Zimmer-Chalet, welches noch fast genau wie damals eingerichtet ist, in Klosters zum Verkauf. Für 2.180.000 Schweizer Franken kann man dort auf 135m² wohnen, wo Sir Paul McCartney einst Urlaub machte und Musikgeschichte schrieb. Die McCartney-Geschichte des Hauses hat aber keinerlei Einfluss auf den Kaufpreis, der für die Region im Durchschnitt liegt.

«Casa Rosemarie» - Quelle: Google Street View
«Casa Rosemarie» - Quelle: Google Street View


Wer ein Mal in der Schweiz war, kommt wieder.

In den folgenden Jahren blieb ihnen kaum mehr Zeit für erholsame Urlaube. Auf Initiative von George Harrison, der Entspannung in indischer Musik und transzendentaler Meditation suchte, unternahmen sie 1968 gemeinsam eine Reise nach Indien in den Ashram des Guru Maharishi. Die erhoffte Ruhe vor Presse und Fans blieb selbst an diesem vermeintlich friedlichen Ort aus und der geschäftstüchtige Guru verdiente gut daran. Zwei Jahre später war die Luft endgültig raus und die Beatles lösten sich entkräftet auf. John reiste mit Yoko Ono wieder in die Schweiz um die Kunstszene von Montreux zu besuchen und Paul mit seiner Frau Linda endlich wieder in die Skiferien nach Zermatt, wo er neue Inspiration fand und Songs schrieb. 1972 gründeten Paul und Linda die Band «Wings». Fortan spielte er übrigens anstelle seines berühmten Höfner-Basses einen Bass der Marke «Rickenbacker», die 1931 vom Schweizer Auswanderer Adolph Rickenbacher aus Basel in den USA gegründet wurde.

Paul und «Wings» mit Rickenbacker Bass 1972 in Montreux - © ETH Bildarchiv / Kurt Schollenberger

Das Cover des «Wings Greatest»-Albums ließ McCartney in Zermatt fotografieren. Der Fotograf plante ursprünglich, die auf dem Cover abgebildete Figur auf einem Gletscher in Norwegen zu fotografieren, wo er aber keinen geeigneten Gletscher fand. So reiste er auf McCartneys Empfehlung mit seinem Team nach Zermatt, wo es reichlich spektakuläre Gletscher mit herrlichem Bergpanorama gibt. Vier Tage dauerte die Reise und sie kostete stolze 30.000 Schweizer Franken. Das Team geriet in einen Schneesturm und der Fotograf wäre beinahe in einer Spalte des Rothorngletschers verschwunden. Dass die Figur im Schnee auf einem Gletscher steht, ist auf dem Cover nicht zu erkennen. Eine weiße Decke und etwas Salz hätten am Ende wohl genügt. Immerhin ziert das schöne Bergpanorama von Zermatt inklusive Matterhorn die Rückseite des Albums. Für Paul McCartney hat sich der Aufwand jedenfalls gelohnt.

«Wings Greatest» Cover
Alle vier Beatles kehrten regelmäßig in die Schweiz zurück. George Harrison wählte drei Monate vor seinem Tod im Jahr 2001 eine Villa in Montagnola im Tessin als seinen letzten Wohnsitz, wo er seinen Hirntumor behandeln ließ und Ruhe fand. Ringo Starr kam erstmals nach der Auflösung der Beatles mit seiner «All-Starr Band» in die Schweiz und besucht dort regelmäßig Freunde. Im Appenzell erlebte er den Alpabzug und liebte es, dem faszinierenden Naturjodel der Sennen in den Beizen mit Gänsehaut zu lauschen, wo er selbst ausnahmsweise mal nicht im Rampenlicht stand.


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