Das Schweizer Taschenmesser – Der Alleskönner mit deutschen Wurzeln

Veröffentlicht von René

© René Buss

Pflichtprogramm in jedem gut sortierten Schweizer Souvenirshop und weltweit erhältlich; nicht nur MacGyver blieb dank diesem kleinen Helferli, das so ziemlich alles kann, so mancher Gang in den Baumarkt erspart - das berühmte Schweizer Taschenmesser. Beim Militär, beim Camping, beim Wandern, im Haushalt, auf Reisen und so ziemlich in fast allen Lebensbereichen hat sich dieser «kleinste Werkzeugkasten der Welt» als große Bereicherung behauptet. Was heute international als typisches Symbol schweizerischer Qualität und Innovation gilt, ist eigentlich viel mehr die Frucht einer deutsch-schweizerischen Zusammenarbeit.

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Moderne Zeiten erfordern moderne Werkzeuge

Karl Elsener, 1860 in Schwyz geboren, reiste nach Deutschland, um dort das Handwerk des Messerschmieds zu erlernen. Die Technologie war zu jener Zeit in der Schweiz noch nicht so weit fortgeschritten, während in der «Klingenstadt» Solingen bereits große Firmen hochwertige Klingen in Massen produzierten. Unter anderen produzierte dort auch John S. Holler seine Klappmesser, worin er viele verschiedene Werkzeuge verbaute. Bis auf die Griffschalen ähnelten sie in ihrem Aufbau und ihrer Funktionsweise stark dem später berühmten Schweizer Taschenmesser. 1884 gründete Elsener in seinem Heimatort seine eigene Messerschmiede. Dass er in Deutschland die Messerschmiedekunst erlernt hatte, verhalf ihm rasch zu großem Erfolg. Wenige Jahre später führte die Schweizer Armee das neue Infanteriegewehr Modell 1889 ein, das sich einfach und schnell zerlegen und reinigen lassen sollte. Der Nachteil daran: Der Soldat benötigte dazu einen Schraubendreher. Außerdem benötigte er einen Dosenöffner, um Konservendosen zu öffnen, gelegentlich auch eine Ahle, um Lederriemen oder Schuhe zu flicken und ein Messer gehörte auch bereits zu seiner Standardausrüstung. Die Schweizer Armee brauchte also jemanden, der fähig war, all diese Werkzeuge in ein einziges Klappmesser einzubauen.

Infanteriegewehr Modell 1889 - viele Einzelteile: ohne Schraubenzieher unmöglich zu zerlegen.

Das erste deutsche «Schweizer Messer»

In Solingen fand die Schweizer Armeeführung die Messermanufaktur Wester & Co., die prompt die Wünsche der Schweizer umsetzte und 1890 die Schweizer Armee mit ersten Soldatenmesser belieferte. Schlicht, mit schwarzen Holzgriffschalen versehen, erfüllte es alle Bedürfnisse zur besten Zufriedenheit. Dass Armeematerial im Ausland produziert werden musste, war zwar ein Problem, aber in der Schweiz waren Produktionskapazitäten mit Know-How bis dato nicht vorhanden. Zumindest waren sie der Armeeführung nicht bekannt. Karl Elsener erkannte seine Gelegenheit und gründete mit über 20 weiteren Messerschmieden den Verband Schweizer Messerschmiedemeister, womit der Armee plötzlich eine Produktionskapazität in der Heimat zur Verfügung stand. Obendrein auch noch mit dem Fachwissen aus Deutschland, das Karl Elsener schließlich in Deutschland erlernt hatte. Schon ein Jahr später belieferte Elsener die Armee mit den begehrten Soldatenmessern. Er entwickelte es sogar weiter und passte es individuellen Bedürfnissen an. Schülermesser, Kadettenmesser und das Offiziersmesser, das den ersten Schritt zum heutigen Markenprodukt machte. Offiziere müssen sich mit vielen Problemen, denen einfache Soldaten begegnen, nicht selbst auseinandersetzen. Dafür gibt es schließlich Adjutanten. Entsprechend fiel ihr Offiziersmesser etwas leichter aus, als das Soldatenmesser. Sie hatten mehr Zeit, sich den schönen Seiten des Lebens zu widmen, also benötigten sie einen Korkenzieher an ihrem Messer. 1897 ließ Karl Elsener den Begriff «Schweizer Offiziers- und Sportmesser» als Handelsmarke schützen.

Das erste Soldatenmesser der Wester & Co. Solingen 1890 - © CC BY-SA 3.0 Cutrofiano

Mit Victoria und Edelstahl zum Kultstatus

Im Jahr 1909 starb Elseners Mutter Victoria. Ihr zu Ehren verlieh er daraufhin seinen Produkten ihren Namen. Als 1921 die Möglichkeit geschaffen wurde, rostfreien Stahl zu verarbeiten, erkannte Elsener auch diese Gelegenheit, sein Markenprodukt unsterblich zu machen. Aus dem Namen Victoria und dem neuen INOX-Stahl (INOX = frz. «inoxidable») formte er den Markennamen «Victorinox». Die schwarzen Eichenholzgriffschalen hatten sich inzwischen nicht bewährt und wurden gegen stabilere, meist braune Hözler ausgetauscht. Diese bekamen in den 1940er Jahren erstmals eine rote Färbung. 1961 wurde das Messer radikal überarbeitet und den zeitgemäßen Ansprüchen angepasst. Die Holzgriffschalen wurden endgültig verworfen und gegen leichte und deutlich robustere Aluminiumgriffe mit eingeprägtem Schweizerkreuz ausgetauscht. Das Soldatenmesser in blankem Aluminium, die zivile Version in leuchtendem Rot. Somit erhielt es seine Form, die heute Kultstatus genießt. In den folgenden Jahrzehnten ermöglichten Kunststoffgriffe noch robustere Produktionen. Erst im Jahr 2008 erhielt die Schweizer Armee das neue Modell 08 mit grünen Kunststoffgriffen.

Soldatenmesser der Firma Wenger aus Delsberg 1951 mit INOX-Stahl und rotem Griff

Soldatenmesser Modell 1961 mit Aluminiumgriff - © CC BY-SA 3.0 Simon Eugster

Zivile Variante 1961 mit rotem Griff

Modell 08 - © CC BY-SA 3.0 Francis Flinch


Wieviel Werkzeug passt in eine Hosentasche?

Kleine Klingen, große Klingen, Nagelfeilen, Scheren, Sägen, Zangen, Lupen, Fahrradwerkzeuge, sogar Laserpointer und USB-Sticks wurden schon in den Taschenmessern verbaut. Zahnstocher und Pinzette stehen in zivilen Versionen zur Verfügung. Zahllose Varianten werden den Bedürfnissen der Menschen und der aktuellen Zeit ständig entwickelt. Für Angler hat das Messer sogar einen Fischentschupper, mit dem sich auch Angelhaken entfernen lassen. Natürlich kann man es auch mit der Multifunktionalität übertreiben. Die Firma Wenger, die aus der Messerschmiedevereinigung Elseners hervorging und ebenfalls die Armee mit den Soldatenmessern belieferte, fertigte 2007 das Wenger Giant Knife mit stolzen 84 Einzelwerkzeugen, die über 100 Funktionen beinhalteten. Im Guinness-Buch der Rekorde wurde es als «das größte Taschenmesser der Welt» gefeiert. Bei 24 Zentimetern Breite und 1,3 kg Gewicht ist allerdings fraglich, ob es überhaupt noch als «Taschen»-Messer bezeichnet werden kann.


Das Messer der unbegrenzten Möglichkeiten

Ebenfalls fraglich ist, ob es wirklich so viele Werkzeuge braucht. Wozu die einzelnen Werkzeuge tatsächlich nützlich sind, überraschte selbst die Hersteller. Besonders in Situationen, in denen das geeignete Werkzeug fehlt, lädt das Messer zu kreativen Höchstleistungen ein und man entdeckt ungeahnte Funktionen. Dass der offizielle «Schraubendreher» auch als Flaschenöffner dient, ist von den Herstellern beabsichtigt. Dass man damit – mit etwas Geschick – auch ein Auto starten konnte, wenn der Schlüssel verloren ging, entdeckten erst Soldaten der Schweizer Armee. Auch, dass man mit der Säge sehr gut Parmesan oder einen Schabziger Stöckli fein raspeln kann, wenn zum Kochen im Gelände lediglich Gamelle und Schweizer Messer zur Verfügung stehen. Im Kochgeschirr rühren, den heißen Henkel mit dem Dosenöffner des Messers greifen und so die Gamelle vom Feuer heben sind nur wenige Beispiele dafür, wie das Messer beim Outdoor-Kochen nützlich sein kann. Haben Sie auch schon neue Funktionen entdeckt? Lassen Sie es uns gerne wissen!

Mit dem Soldatenmesser ein Auto starten - Quelle: Youtube

Velotruppen der Schweizer Armee 1914: Beim Kochen mit der Gamelle auf dem Feuer. Rechts wird mit dem Soldatenmesser geschnitzt.

 


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