Tellspiele Interlaken: Wo Wilhelm Tell lebendig wird und stirbt

Veröffentlicht von René

© Tellspiele Interlaken 2024

An einem lauen Sommerabend im Berner Oberland füllt sich die Tellarena in Interlaken allmählich mit Leben. Besucher strömen herein, suchen sich ihre Plätze auf den Tribünen und lassen ihren Blick über das Freilichttheater schweifen. Die mächtigen Berge und die idyllische Landschaft bieten eine atemberaubende Kulisse für eine der traditionsreichsten Freilichtaufführungen der Schweiz: die Tellspiele Interlaken. Hier, im Herzen der Schweizer Alpen, wird (beziehungsweise wurde) die Geschichte von Wilhelm Tell, dem legendären Freiheitskämpfer, lebendig.

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Vom Schulprojekt zum Theater-Kult

Die Wurzeln der Tellspiele reichen zurück bis ins Jahr 1910, als August Flückiger, ein Lehrer aus Interlaken, die Idee hatte, Auszüge aus Friedrich Schillers Drama «Wilhelm Tell» mit seinen Schülern aufzuführen. Allein seine Idee löste so große Begeisterung aus, dass er mit Hilfe der «Dramatischen Gesellschaft» Interlaken das vollständige Stück mit großem Erfolg aufführte. Am 19. Mai 1912 wurde «Wilhelm Tell» erstmals in Interlaken aufgeführt. Damals schon umfasste die Tribüne 1.500 Sitzplätze und 500 Stehplätze die allesamt rasch ausverkauft waren. Zu jener Zeit dauerte eine Aufführung noch rund vier Stunden und der Kassenschlager wurde wöchentlich mehrmals gezeigt. Doch es machten sich auch kritische Stimmen breit: Manche fragten sich, ob es nicht besser sei, ein englisches Stück zu wählen, um auch die zahlreichen britischen Touristen, die damals die Region aufsuchten, anzusprechen, oder ob die Konkurrenz mit den Tellspielen in Altdorf zu groß sei. Dennoch, Flückiger und sein Team blieben optimistisch, dass «Wilhelm Tell» auf Deutsch erfolgreich bleiben würde.

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Große Ambitionen und herbe Rückschläge

Die ersten Jahre waren bei allem Erfolg auch von Rückschlägen geprägt. Das Wetter war ein unberechenbarer Gegner für Bühne und Tribüne unter freiem Himmel. So wurden 1913 Extrazüge aus Bern eingesetzt, um Besucher zu den Tellspielen zu bringen, doch der Sommer brachte reichlich Regen und Gewitter, was zu vielen Absagen führte. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 mussten die Tellspiele eingestellt werden. Fast alle Darsteller wurden in die Schweizer Armee einberufen, um die Grenzen der Schweiz vor befürchteten Angriffen zu schützen. Vier Jahre nach Kriegsende wurden Planungen für einen Neustart aufgenommen, doch der Aufwand, die Spielstätte zu modernisieren und zu überdachen, waren teurer und aufwendiger als angenommen. Erst 1931 konnten die Tellspiele Interlaken wieder aufgeführt werden. Eine überdachte Tribüne wurde errichtet und die Botschaft «Es wird bei jedem Wetter gespielt» verbreitete sich in Windeseile. Die Tellspiele entwickelten sich zu einem festen Bestandteil der Kultur Interlakens. Doch schon acht Jahre später wurden sie zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erneut eingestellt. Der erneute Neustart konnte diesmal bereits 1947 durchgeführt werden und erneut wurde die Spielstätte modernisiert. Erste Beleuchtungsanlagen ermöglichten auch Aufführungen bei Dunkelheit und die alten Holz- und Leinwandkulissen wichen aufwendigen Nachbauten alter Häuser aus Holz und Stein und sogar einer prächtigen, gemauerten Burg Zwing aus Uri. Das neue «Tellspieldorf» machte die Illusion perfekt und versetzte das Publikum unter realistischen Bedingungen ins Mittelalter. Seither wurde die Anlage stetig renoviert und mit moderner Technik aufgerüstet.

© Tellspiele Interlaken

Die Magie der verblüffend realistischen Darstellungen

Schon Stunden vor der Aufführung treffen die ersten Besucher ein. Sie erkunden die Anlage, erfahren mehr über die Geschichte Wilhelm Tells und genießen die imposante Umgebung. Pünktlich um 20 Uhr, oder bei der Nachmittagsvorstellung um 14:30 Uhr, beginnt das Spektakel. Über zweieinhalb Stunden werden die Zuschauer in eine Welt voller Mut, Freiheit und Drama entführt. Historische Kostüme, Pferde, sogar echte Kuhherden und spektakuläre Pyrotechnik versetzen die Zuschauer direkt in den Freiheitskampf der Eidgenossen um Wilhelm Tell gegen die habsburgische Unterdrückung. Die Darsteller sind ausschließlich lokale Amateurschauspieler aus der Region. Diese Einbindung der Einheimischen verleiht den dargestellten Eidgenossen eine besondere Authentizität. Seit 2016 sprechen diese im Stück Schweizerdeutsch, um das Erlebnis noch realistischer zu gestalten. Für fremdsprachige Gäste wurde natürlich ein modernes Übersetzungsprogramm eingerichtet.

Besucher können ihre Tickets im Voraus online erwerben und aus verschiedenen Preiskategorien wählen. Einige Angebote beinhalten sogar Kombitickets mit einem Lunchpaket, einem 3-Gänge-Mittagessen oder einer besonderen Führung durch die Anlage. Für Erwachsene beginnen die Preise bei 48 CHF. Die Tellarena ist leicht mit dem Auto oder öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar. Postautos bringen die Zuschauer direkt zur Arena.

© Tellspiele Interlaken
© Thunersee Tourismus
© Thunersee Tourismus


Wilhelm Tell ist tot. Lang lebe Robin Hood!

2024 ist ein besonderes Jahr für die Tellspiele. Die Anregung aus der Anfangszeit, internationale Gäste gezielter anzusprechen, wird nicht nur befolgt, sondern auch radikal ausgeweitet. Erstmals in der Geschichte der Tellspiele wird «Wilhelm Tell» nicht mehr aufgeführt. Stattdessen soll ein ähnlicher Held, der ebenfalls ein meisterhafter Pfeilschütze ist, ins Rampenlicht treten: Wilhelm Tells Zeitgenosse aus England, Robin Hood. Dieser Traditionsbruch soll den zuletzt stark gesunkenen Besucherzahlen und der daraus resultierenden wirtschaftlichen Schieflage entgegenwirken. Kritiker jedoch warnen davor, die Schweizer Tradition zu verwässern, oder gar symbolisch mit «Wilhelm Tell» sterben zu lassen, und fordern, der Geschichte von Wilhelm Tell treu zu bleiben. Befürworter des «Robin Hood» sehen jedoch ein schwindendes Interesse an «verstaubten Volksmythen, die historisch nicht belegt werden können» und sehen entsprechend auch keinen Anlass, einer Sagenfigur eine Bedeutung zuzuweisen, die den wirtschaflichen Niedergang eines so bedeutsamen Theaterunternehmens der Region rechtfertigt. Das Publikum wird entscheiden, ob der Gesslerschuss ins Leere geht, oder ob Robin Hood den Nerv der Zeit, beziehungsweise den Apfel auf dem Kopf trifft: Wohin wird die Reise gehen? Ist Robin Hood mit Pfeil und Bogen in modernen Zeiten interessanter als der Schweizer Nationalheld mit seiner Armbrust? Ist die Erzählung Schweizer Folklore bedeutsamer als internationale Popkultur? Ist es am Ende tatsächlich belanglos, ob Wilhelm Tell oder der recht ähnlich erzählte Robin Hood gespielt wird? Wird es vielleicht sogar ein Aufeinandertreffen der beiden Helden in einer Art Mash-Up geben? Wie auch immer die Geschichte enden wird, es bleibt zu hoffen, dass sie für die traditionsreichen und spektakulären Tellspiele Interlaken gut ausgeht.

© Tellspiele Interlaken


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