Die Fête de l'Escalade Genève – Genf reist ins Mittelalter

Die Stadtmauern von Genf erklimmen – genau das taten die savoyischen Truppen in der Nacht zum 12. Dezember des Jahres 1602. Unter der Führung des Herzogs von Savoyen, Karl Emanuel I., stellten sich 2000 geduldig wartende Söldner vor den Stadttoren des reichen Genfs auf. 200 von ihnen stiegen im Schutze der Dunkelheit mit Leitern über die Stadtmauern, um der savoyischen Armee die Stadttore von innen zu öffnen. Ein «Coup de Main» (deutsch: «Handstreich»), der Genf zur Hauptstadt von Savoyen am Fuße der Alpen machen sollte. Mit der Kampfbereitschaft und dem Mut der Genfer Bevölkerung, sowie mit der Wucht eines gusseisernen Topfes voller Gemüsesuppe, hatten sie allerdings nicht gerechnet.
Eine mondlose Winternacht im Jahre 1602
Kalt und dunkel ist die Nacht auf den 12. Dezember im Jahre 1602. Im Schutz der Dunkelheit führt der Herzog von Savoyen seine gut 2000 Söldner vor die Stadtmauer des reichen und protestantischen Genfs. Der Plan ist simpel, ein Handstreich: 200 Soldaten rücken mit Leitern vor und erklimmen unbemerkt die Stadtmauern. Einmal überwunden, sollen sie für die übrigen Soldaten das Tor zur Stadt öffnen. Mit voller Kraft soll Genf eingenommen und endlich zur Hauptstadt Savoyens am Tor zu den Alpen werden. Mindestens genauso wichtig: Genf soll den katholischen Glauben annehmen.
Weit und breit sind auf der Stadtmauer keine Wächter zu sehen; perfekte Voraussetzungen für das heimtückische Vorhaben. Die Vorhut ist erfolgreich. 200 Soldaten erklimmen die Stadtmauer. Doch dann wird ein Wachmann aufmerksam. Die Reaktion der Genfer folgt schnell. Ein Warnschuss mit der Muskete und alle Wächter sind alarmiert. Die Kirchenglocken tönen durch die ganze Stadt und wecken Berufssoldaten, die Bürgermiliz und die übrige Bevölkerung. Alle sind bereit und fest entschlossen, ihre Heimat und Freiheit zu verteidigen. Die Genfer lassen das Falltor der Stadtmauer herunter, die Angreifer sind eingekesselt und werden gefangengenommen oder hingerichtet.
Herzog Karl Emanuel muss seine Niederlage in Genf akzeptieren. Im Zuge dieser Niederlage wird im Friedensvertrag von Saint-Julien die Unabhängigkeit Genfs erstmals besiegelt. Fünf Schweizer Kantone und einige europäische Mächte erzwingen vom Herzog eine Unterschrift.

Genfer Hausmannskost gegen die Feinde
Während genau dieser Auseinandersetzung findet auch eine Sage der besonderen Art ihren Ursprung: Die Sage der «Mère Royaume». Der Erzählung nach wehrte sich die damals sechzigjährige Catherine Royaume gegen die einfallenden Truppen, indem sie ihren gusseisernen Suppentopf mit Gemüsesuppe aus ihrem Fenster auf den Feind warf. Einen der Angreifer traf sie direkt auf den Kopf und setzte ihn so außer Gefecht.

Der Suppentopf entwickelte sich ab dem 19. Jahrhundert als Symbol der Escalade. In den Schulen wird Gemüsesuppe gegessen und überall werden kleine oder große Suppentöpfe aus Schokolade verkauft. Die «Marmites» (deutsch: «Kochtöpfe») sind mit dem Genfer Wappen sowie einer gold-roten Schleife verziert und werden in den Familien jeweils vom jüngsten und ältesten Familienmitglied zerschlagen. Das Marzipangemüse in den Marmites, und die Schoko-Scherben des Topfes teilt die gesamte Familie unter sich auf.


Die Siegesfeier - mehr als 400 Jahre nach der Schlacht um Genf
Feierlichkeiten zu jener historischen Schlacht, welche die Unabhängigkeit Genfs besiegelte, gibt es schon seit 1603, dem ersten Jahr nach der Schlacht. Ausgelassen wurde der Sieg über die zahlenmäßig überlegenen Savoyer zelebriert, doch auch diese Feier war nicht unumstritten. Die einen sprachen sich für eine historisch korrekte Nachstellung der Ereignisse aus, die anderen zogen prunkvolle Paraden der Realität vor.
Im 19. Jahrhundert etablierte sich eine Mischform aus beiden. Die «Fête de l'Escalade» wird zu einer Art «Karneval in Genf». Drei Tage lang fühlen sich die Genfer Bevölkerung und Besucher zurück in die Anfänge des 17. Jahrhunderts versetzt. Durch die Gassen mit den zahlreichen Marktständen zieht der Duft von frischer Gemüsesuppe, welche während der Escalade meist kostenlos ausgegeben wird. An jeder Ecke können verschiedene Köstlichkeiten verkostet und das traditionelle Handwerk bestaunt werden. Vorführungen vom Schmied oder Steinmetz bieten Einblicke in längst modernisierte Handwerkskünste. Ohrenbetäubendes Musketenschießen und spannende Schwertkämpfe bieten aufregende Unterhaltung für Groß und Klein. Die Jüngsten können auf Ponys ihre Reitfähigkeiten unter Beweis stellen.


Am Sonntag zeichnet sich der Höhepunkt des Anlasses ab: Der große Festumzug. Über 800 Teilnehmer in historischen Kostümen ziehen durch die Gassen der Genfer Altstadt. Wie in einem mittelalterlichen Märchen hört man das Traben der Pferde auf dem Kopfsteinpflaster. Soldaten mit Hellebarden und Musketen ziehen im Licht zahlreicher Fackeln zum Rhythmus der Trommeln vorbei an den Menschenmengen. Vor der Kathedrale St. Pierre kommt der Festumzug zum Halt. Am großen Freudenfeuer versammeln sich Teilnehmer und Zuschauer und singen gemeinsam Lieder. Und welche Lieder wären besser, um den Widerstandsgeist und Freiheitswillen der Genfer widerzuspiegeln als «Ah, la belle Escalade» oder «C’é qu’è lainô»? Beide Lieder werden im savoyischen Dialekt gesungen. In der Kathedrale wird zudem ein großer Gottesdienst mit großem Chor und einem Konzert veranstaltet.
Im Zuge der Feierlichkeiten findet in der ersten Dezemberwoche eines jeden Jahres die «Course de l’Escalade» statt, ein Stadtlauf, an dem zuletzt über 45.000 Menschen aller Altersklassen teilnahmen. Gewertete und ungewertete Läufe, sowie Eltern-Kind-Läufe und Spaziergänge stellen sicher, dass die Freude und die Gemeinschaft im Vordergrund stehen. Neben Werten wie Spaß, Solidarität, Integration und Qualität geht es auch um Leistung und Inspiration. Spitzensportler sorgen einerseits für eine gewisse Spannung während des Laufs, welche das Publikum zum Mitfiebern und Jubeln anregt. Zum anderen sollen die Profis junge Menschen inspirieren und zum Sport motivieren.


