Schwyzerdütsch – Lektion 5

Veröffentlicht von René

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In der letzten Lektion (Lektiönli 4) haben wir uns mit Vorurteilen über die schweizerischen Sprachgewohnheiten beschäftigt. Hilfreich sind Vorurteile nicht. Doch selbst ohne sie sind Missverständnisse und Verwirrungen nicht auszuschließen. Um Schweizerdeutsch zu verstehen, muss man das Vokabular schweizerischen "Hochdeutschs" gründlich lernen. Dann erscheinen die regionalen Dialekte schon weniger schwer. Verlässt man sich hingegen auf die Hochdeutschkenntnisse der Schweizer, so wird einem dieser Trugschluss meist zum tragischen Verhängnis. Als Beispiel dafür soll diesmal die folgende Lektüre dienen.

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Ein Jass-Club versteht nur Bahnhof - Ein klassisches Drama in fünf Akten


1. Akt


CHRIGU, CHLOUS und HOUSI stehen auf dem Perron am Bahnhof in Bern. Sie warten auf ihren Freund MARKUS, der sogleich mit dem Zug aus Frankfurt ankommt. Wenn sie sich treffen, jassen sie gerne. Deshalb haben sie sich heute an einem Jass-Turnier in Bern angemeldet. Markus versteht kein Schweizerdeutsch, also bemühen sie sich sehr, so hochdeutsch wie möglich mit ihm zu sprechen. Markus steigt aus dem Zug und sie begrüßen ihn.

CHLOUS: "Hallo, Marggus! Schön, bist du da!"

MARKUS: "Grüzi, Christian! Danke, du siehst aber auch nicht schlecht aus!"

CHRIGU: "Nein, Marggus. Der Chlous meint, es ist schön, du bist da!"

HOUSI: "Und hier in Bern sagt man nicht Grüezi und schon gar nicht Grüzi. Man sagt Grüessech! Schon vor zwei Stunden haben wir uns hier besammelt. Wir haben gedacht, du kommst mit dem Zug um drei Uhr. Hattest du Verkehr?"

MARKUS: "Wie bitte?"

CHRIGU: "Hä?"

HOUSI: "Ob du spät bist, weil du Verkehr hattest in Frankfurt auf dem Weg zum Bahnhof?"

MARKUS: "Also das Bahnhofsviertel in Frankfurt hat zwar seinen Ruf, aber da verkehre ich nicht. Außerdem bin ich schließlich verheiratet!"


Während CHRIGU und HOUSI laut loswiehern, schlägt sich CHLOUS erschrocken die Hand an die Stirn.


CHLOUS: "Gopfertelli! Ich glaube, ich habe es nicht beschlossen!"

MARKUS: "Keine Sorge, Klaus! Nicht du, sondern ein Standesbeamter hat unsere Ehe beschlossen. Also bin ich schließlich und beschlossen verheiratet!"

CHLOUS: "Mein Gartentörli habe ich vergessen zu beschliessen! Jetzt kommen die Buebe vom Nachbarn wieder hinein und essen mein Obst von den Bäumen. Dann klettern sie in die Bäume, bekommen Übergewicht und verletzen sich."

MARKUS: "Hast du so viel Obst an den Bäumen, dass die Kinder so schnell dick werden?"

CHLOUS: "Nein. Sie balancieren zu wenig vorsichtig auf den Ästen und fallen."


HOUSI erholt sich wieder von seinem Lachanfall und versucht, zurück in das Gespräch zu finden.


HOUSI: "Was murmelt ihr?"

MARKUS: "Die Kinder vom Nachbarn futtern ihm das Obst weg. Von Murmeltieren hat er kein Wort gesagt."

HOUSI: "Ah, ja."

CHRIGU: "Wartet schnell! Ich will mir noch einen Münzentee am Automaten da vorne holen."

MARKUS: "Wie schnell wir warten, hängt davon ab, wie lange du am Automaten brauchst. Kann ich an dem Automaten auch Euros gegen Franken eintauschen?"

CHRIGU: "Warum sollte man das an einem Kaffee- und Tee-Automaten können?"

MARKUS: "Du hast doch gerade etwas von "Münzen" gesagt!"

CHRIGU: "Ich sagte "MünzenTEE"! Ihr sagt - glaube ich - "Pfeffermünztee". Das beruhigt meinen nervösen Magen."

HOUSI: "Hör uf! Wir pressieren! Wir kommen nicht pünktlich."


 


2. Akt


Die vier Wortakrobaten machen sich auf den Weg zum Gasthof, wo das Turnier stattfindet. Bereits nach wenigen Minuten stellt CHLOUS fest, dass sie schon am Bahnhof falsch abgebogen sind und in die falsche Richtung laufen.


CHLOUS: "Ich glaube, wir müssen kehren!"

MARKUS: "Sind die Straßen hier bei euch deshalb immer so sauber, weil ihr die selber kehrt, wenn euch ein Krümel auffällt?"

CHLOUS: "Hä? Wir gehen in die falsche Richtung und müssen zurück, in die Richtung, von wo wir gekommen sind!"

HOUSI: "Ja, gut du hast es gemerkt!"

MARKUS: "Also zurück zum Bahnhof?"

CHRIGU: "Ich verstehe nur noch Bahnhof."

CHLOUS: "Hä?"

HOUSI: "Ich glaube, wir brauchen vor dem Spiel dort erst noch ein Nachtessen, sonst verlieren wir."

CHRIGU: "Ich nehme dann lieber nur Hahnenwasser."

MARKUS "Von einer Hühnerbrühe allein wird man doch nicht satt!"

CHRIGU: "Hahnenwasser - Wasserhahn - Wasser aus dem Hahn! Langsam schlägst du mir auch auf den Magen."


Als die Stimmung zu kippen droht, versucht HOUSI das Thema zu wechseln. Wie gesagt - er versucht es zumindest.


HOUSI: "Ist das nicht ein schöner Tag? Meint ihr, sie stuhlen heute heraus?"

MARKUS: "Nicht, wenn es dort genug Pfefferminztee für alle hat."

CHRIGU: "Stühle, Marggus! Stühle von drinnen nach draußen, auf die Terrasse..."

MARKUS: "Ja, Christian, das weiß ich doch mittlerweile! Ich mache doch nur Spaß!"

CHRIGU: "Mir macht es langsam keinen Spaß mehr."


Wortlos gehen die vier Wortkargen weiter ihres Weges. Doch schon an der nächsten Ampel durchbricht ein empörter Aufschrei eines Fußgängers die Stille, der neben ihnen dort auf Grün wartet.


FUßGÄNGER: "Laa mi los! Bisch verruckt, oder was?"

CHRIGU: "Läck, Marggus! Bist du wahnsinnig? Lass den Mann los!"

MARKUS: "Aber an der Ampel steht doch "Fußgänger drücken!""


Der FUßGÄNGER ist noch immer ziemlich irritiert, als CHRIGU, CHLOUS und HOUSI sich plötzlich die Bäuche vor Lachen halten. HOUSI entschuldigt sich bei ihm.


HOUSI: "Entschuldigung, mir hei e Düütsche mitgno. Är weiss es nid besser."



3. Akt


Endlich kommen sie am Gasthof an. Am Parkplatz neben dem Gasthof bemerkt MARKUS ein Verkehrsschild mit der Aufschrift "Anstösser gestattet".


MARKUS: "Das hört sich doch schon mal gut an! Wir wollen hier miteinander anstoßen, also dürfen wir rein!"

CHRIGU: "Leute, die hier in der Nachbarschaft wohnen, dürfen hier parkieren. Die nennt man Anstösser!"

CHLOUS: "Chrigu, lass ihn doch einfach reden!"


Sie gehen hinein, stoßen mit einem Bier an und bestellen drei Bratwürste mit Rösti und ein Hahnenwasser.


HOUSI: "Hoffentlich hat es hier Senf zur Bratwurst!"

MARKUS: "Oh, ja! Ich hole schnell eine neue Runde Bier und frage die Kellnerin danach."


Kurz darauf kommt Markus schon mit vier frisch gezapften Bieren an den Tisch.


MARKUS: "Die Kellnerin stellt uns gleich eine Tube auf den Tisch."

HOUSI: "Was? Eine Tube hat doch nichts beim Essen verloren! Wenn draußen mal eine auf dem Tisch landet, dann verstehe ich das. Aber wieso sollten die hier die Tuben hereinlassen und den Gästen auf den Tisch stellen?"

CHRIGU: "Housi, er meint eine Tube und keine Taube. Eine Tube Senf und keinen Vogel!"

MARKUS: "Also wenn ihr mich fragt, habt ihr alle einen Vogel, ihr Schweizer!"


Sie bekommen das Essen serviert und eine Tube Senf dazu.


MARKUS: "Schmeckts?"

HOUSI: "Wieso? Hesch e Furz laa gaa?"

MARKUS: "Ich wollte nicht wissen, ob etwas riecht, sondern ob euch das Essen schmeckt!"

HOUSI: "Ja, das weiß ich. Ich mache doch nur Spaß."

MARKUS: "Mir macht es langsam keinen Spaß mehr!"



4. Akt


Nach dem Essen gehen sie in den Saal zum Jass-Turnier. Freundlich begrüßen sie die bereits anwesenden Spieler in die Runde.


CHLOUS: "Grüessech mit der Hand!"


MARKUS schaut CHLOUS verwundert an.


MARKUS: "Ich mach mal so." [Er klopft zwei mal auf einen Tisch.]


Alle Spieler im Saal schauen MARKUS verwundert an.


CHLOUS: "Hör mal, Marggus! Jedem einzelnen hier die Hand zu geben würde zu lange dauern, deshalb sagt man einfach "Grüessech mit der Hand" und dann ist es, als hätte man jeden persönlich mit Handschlag begrüßt. Aber was du da machst - mit der Faust auf den Tisch - was soll das bedeuten? Macht man das so bei euch zu Hause?"

MARKUS: "Das ist jedenfalls nicht halb so verklemmt, wie dein "Grüzi mit der Hand"!"

HOUSI: "Komm, Marggus! Wir beide machen ein Team und Chlous und Chrigu machen zusammen eins."


Der Turnierleiter weist die Teams ihren Spieltischen zu. Gespielt wird ein Schieber-Jass bis 1000 Punkte. HOUSI und MARKUS spielen als Team gegen zwei Herren aus Steffisburg.


MARKUS: "Hans, du musst den Trumpf wählen!"

HOUSI: "Ja, ich studiere gerade."

MARKUS: "Aber du kennst doch die Regeln!"

HOUSI: "Mau, mau!"

MARKUS: "Wir spielen doch kein Mau Mau hier!"

HOUSI: "Ich habe dir zugestimmt, dass ich die Regeln kenne. Ich muss studieren, für welchen Trumpf meine Karten besser wären. Ich schiebe einfach und du wählst Trumpf!"

MARKUS: "Herz ist Trumpf!"


Beim Jassen mehr zu reden, als die nötigen Spielansagen, gilt als wenig Tugendhaft. Das gegnerische Team wittert geheime Absprachen zwischen HOUSI und MARKUS und reklamiert.


GEGNER: "Also das isch grad Bschiss, wie ihr spielt!"

MARKUS: "Wir haben doch gerade erst Trumpf gewählt. Gespielt haben wir noch keine einzige Karte!"

HOUSI: "Das isch eso! Mir bschysse nid! Und könnte ich vielleicht eine Ständerlampe bekommen? Ich erkenne die Karten so schlecht."

MARKUS: "Hans, wir spielen auf dem Tisch und nicht darunter!"

HOUSI: "Unter dem Tisch habe ich nur meinen Sack!"

MARKUS: "Was stimmt nicht mit dir?"

HOUSI: "Mit mir ist alles in Ordnung. Gibt es etwa eine Regel, die besagt, dass man beim Spiel keinen Sack mit einem Paar Finken darin unter den Tisch stellen darf?"

MARKUS: "Warum sollte jemand Vögel in einem Sack mit zum Jassen bringen?"

HOUSI: "Nur für den Fall, dass mir meine Schuhe zu unbequem werden, habe ich meine Finken dabei."


Bevor die GEGNER vor Wut explodieren ruft CHRIGU laut durch den Saal dem HOUSI zu:


CHRIGU: "HAUSSCHUHE, Housi! Sag bitte nicht mehr "Finken"!"


 

5. Akt


Während das Turnier im Saal noch voll im Gange ist, sitzen CHRIGU, CHLOUS, HOUSI und MARKUS an der Theke in der Gaststube. Jeder mit einem großen Bier.


CHRIGU: "So e huere Turnierleiter!"

MARKUS: "Kennt ihr euch etwa?"

CHRIGU: "Hä?"

MARKUS: "Woher weißt du sonst, womit der Turnierleiter sein Geld verdient?"

CHRIGU: "So, jitz langets! Ich gehe heim. Tschou." [Er verlässt wütend den Gasthof.]

CHLOUS: "Wir hatten so ein gutes Spiel gemacht, bis der Chrigu euch zugerufen hat und wir disqualifiziert wurden."

HOUSI: "Ich habe dem Marggus nur erklärt, warum ich meine Finken dabei habe. Meine Karten waren aber so schlecht, ich hätte sie alle rüeren müssen."

MARKUS: "Aber die waren doch schon gemischt!"

HOUSI: "Ich will sagen, ich hätte sie alle "werfen" müssen, ohne einen Stich zu machen! Klar, die Gegner haben sie gemischt und gegeben und sagen wir würden bschysse. Die Bschissnigi waren ja wohl wir!"

MARKUS: "Beim Jassen sollten besser alle Pfefferminztee Trinken."

CHLOUS: "Hä?"

MARKUS: "Das beruhigt einen nervösen Magen und niemand kann beschei..."

CHLOUS: "Jetz fang nicht schon wieder damit an!"

MARKUS: "Ich mach doch nur Spaß."

HOUSI: "Also den Spaß mit der Ständerlampe konnte ich mir auch nicht verkneifen."

CHLOUS: "Hä?"

HOUSI: "So schlecht wie meine Karten waren, musste ich doch irgendwie versuchen, Verwirrung zu Stiften. Es hat funktioniert. Marggus hat es gut mitgespielt."

MARKUS: "Hä?"

CHLOUS: "Das nächste Mal, wenn du nach Bern kommst, melden wir uns bei einem anderen Turnier an, wo man uns noch nicht kennt."


HOUSI und CHLOUS lachen laut los.


***ENDE***



Und die Moral von der Geschicht:

  1. Erwarte nie von einem Schweizer, dass er korrektes Hochdeutsch spricht.
  2. Bemühe dich, einen Schweizer zu verstehen, so wie er sich bemüht, dass du ihn verstehst.
  3. Lerne Schwyzerdütsch.

 

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