Der Alpensteinbock – Ein majestätischer Überlebenskünstler
Wenn man an die Schweiz denkt, dann haben viele sofort ein bestimmtes Bild im Kopf: die Schweizer Alpen mit ihrer traumhaften Bergkulisse, das ein oder andere Chalet und die blühende Natur - vielleicht sieht man dort auch ein paar Tiere grasen? Ein Tier ist aus der Schweiz nicht mehr wegzudenken und es ist dort so populär, dass es sogar das Wappen des Kantons Graubünden ziert: der Alpensteinbock.
Genießer, Grenzgänger und Extremalpinist
Wer die seltene Gelegenheit hat, in den Schweizer Bergen einen wilden Alpensteinbock zu beobachten, der wird feststellen, dass die Tiere immer tagsüber und in Herden unterwegs sind. Im Winter findet man sie in tieferen Lagen, während sie sich im Sommer auf bis zu 3.500 Metern Höhe aufhalten, wo sie sicher vor Beutegreifern wie dem Bären, dem Wolf oder dem Luchs sind. Neben Gräsern stehen auch Kräuter auf dem Speiseplan. Wenn es davon zu wenig gibt, dann frisst der Alpensteinbock auch Äste oder Rinden. Wenn im Winter Schnee liegt, dann sieht man ihn nach Moos und Gras unter dem Schnee graben. Der Alpensteinbock ernährt sich rein vegetarisch.
Auf den ersten Blick ist leicht zu erkennen, ob ein weibliches Tier, eine Geiß, oder ein männliches Tier, ein Bock, vor einem steht. Die Geißen haben deutlich kleinere Hörner, die kaum gebogen sind, während die Böcke mit stolzen, bis zu einem Meter langen Hörnern beeindrucken. Auch haben die Böcke einen markanten Ziegenbart. Beim Versuch, einen Alpensteinbock hochzuheben (was man natürlich unterlassen sollte), würde man auch hier deutliche Unterschiede feststellen. Die Geiß wiegt nur bis zu 40 Kilogramm, während der Bock bis zu 100 Kilogramm auf die Waage bringt.
Und ein kleiner witziger Fakt: Obwohl der Alpensteinbock am häufigsten in den Alpen anzutreffen ist, findet man ihn auch in anderen europäischen Gebirgen. Er kann ja nicht wissen, wo die Alpen ihre Grenze haben.
Die abenteuerliche Rückkehr des Alpensteinbocks in die Schweiz
Archäologische Funde belegen, dass es Alpensteinböcke schon in der Steinzeit gab. Damals galt es als Hauptjagdwild der Menschen in bergigen Gebieten. Dabei verwertete der Mensch nahezu alles vom Tier. Vom Fleisch als Nahrung bis zu den Hörnern für Waffen, Werkzeug oder Schmuck. Vielen Organen, wie der Milz oder der Blut des Alpensteinbocks, sagte man sogar eine heilende Wirkung nach. Da die Beliebtheit des Tieres als Jagdwild im Laufe der Zeit nicht abnahm, schrumpfte die Population immer dramatischer. Zwar wurde in einigen Gebieten der Schweiz ab 1612 ein Jagdverbot angeordnet, aber in Graubünden war der Alpensteinbock im Jahre 1640 bereits ausgerottet. Im Wallis erlegte man 1809 den letzten Schweizer Alpensteinbock. Anfang des 19. Jahrhunderts gab es die letzten 50 bis 100 Alpensteinböcke in Italien. Die Italiener, deren damaliger König Vittorio Emanuele II. leidenschaftlicher Jäger war, stellten den Steinbock unter Schutz und erhöhten die Population durch Zucht. Weil der König von Italien sogar eigene Wildhüterkorps anheuerte, verlief das Experiment auch recht erfolgreich. Ende des 19. Jahrhunderts fand man bereits 3000 Alpensteinböcke in Italien.
Andere Länder in den Alpen, auch die Schweiz, waren sehr daran interessiert, Alpensteinböcke von den Italienern zu kaufen und zu importieren, um das Tier in den Alpenregionen wieder anzusiedeln. Obwohl die Italiener dagegen waren, gelang es den Schweizern trotzdem zwischen 1906 und 1933 bis zu 59 Tiere aus Italien in einen Tierpark nach St. Gallen bei Nacht und Nebel in Holzkisten zu schmuggeln. Ab 1915 wurden auch welche in den Alpenwildpark bei Interlaken gebracht. In beiden Parks wurden sie gezüchtet und ausgewildert.
1909 wurden in St. Gallen die ersten Kitze geboren und zwei Jahre später konnte man die ersten fünf Tiere auswildern. Eine der ausgewilderten Steingeißen war trächtig und so wurde 1911 das erste Kitz seit der Ausrottung der Spezies in der Schweiz in Freiheit geboren. Die Schweiz hatte aber auch mit Rückschlägen zu kämpfen. Einige Auswilderungen endeten mit Misserfolgen, aber die meisten waren geglückt und so wurde der Alpensteinbock wieder heimisch und zur majestätischen Symbolfigur.
Alpensteinböcke heute
In den gesamten Alpen gibt es heute um die 40.000 Alpensteinböcke, die von den 50 bis 100 Tieren aus Italien abstammen. Um die 18.500 Alpensteinböcke leben auf Schweizer Gebiet. Dort werden sie seit 1977 durch Jagd reguliert, um Überpopulationen zu verhindern. Die Spezies steht aber weiterhin unter Beobachtung, obwohl sie nicht mehr gefährdet ist. Die Schweiz bietet dem Steinbock sogar Nationalparks und Schutzgebiete an. In freier Wildbahn kann man ihn zum Beispiel im Schweizer Nationalpark Graubünden beobachten oder aus nächster Nähe im Tierpark Goldau im Kanton Schwyz.

