Blaue Eier, Mordwerkzeuge und Käse - So feiert die Schweiz Ostern
Die 26 Kantone der Schweiz könnten unterschiedlicher kaum sein – und das gilt besonders auch für ihre Osterbräuche, wie das «Zwänzgerle» in Zürich, das große «Eiertütsche» in Bern oder den Funkensonntag im Appenzell. Während die einen mit kuriosen und ausgelassenen Feiern überraschen, demonstrieren andere ihren Sinn für Gemeinschaft und Solidarität. Wiederum andere leben ihre religiösen Traditionen in einer tiefen Hingabe. In Uster im Kanton Zürich geht es seit 20 Jahren um blaue Eier, in Ferden im Wallis wird ein jahrhundertealtes Versprechen eingelöst und in Romont im Kanton Freiburg gedenkt man mit streng religiösem Eifer dem Leiden Jesu.
Ostermontag in Uster – Blaue Eier nach dem Sprung ins kalte Nass
Am Ostermontag versammeln sich hunderte gut gelaunte Schwimmer und noch viel mehr Schaulustige am Greifensee in Niederuster. Um 14 Uhr geht es los: Die Schwimmerinnen und Schwimmer wagen sich in das eisige Wasser. Bei Temperaturen von nur etwa 8 bis 13 Grad Celsius starten die Teilnehmer die erste Strecke von 20 Metern bis zum Sprungturm. Dort steigen sie aus, schnappen sich ein blau gefärbtes Ei und schwimmen anschließend wieder zurück. Der Kälteschock sorgt für ein unvergessliches Erlebnis und Euphorie. Doch das Zittern danach kann nur durch eine Wärmequelle gemildert werden – und die ist schon bereit: Heiße Eiersuppe. Natürlich darf auch der Eierlikör nicht fehlen, um sowohl den Schwimmern als auch den Gästen von innen ordentlich einzuheizen.
Im Anschluss wird ausgelassen getratscht, getrunken, gegessen, und das beliebte «Eiertütsche», ein altes Spiel, bei dem sich zwei Menschen mit hartgekochten Eiern duellieren, darf ebenfalls nicht fehlen. Doch wie kommt es eigentlich zu einer solch ungewöhnlichen Ostertradition? Die Antwort darauf hat Harald Müller, der Organisator und Gründer des Events, parat. Es war, wie er selbst sagt, «eine Jux-Idee».
Im Alter von 40 Jahren besuchte Müller das «Samichlaus-Schwimmen» in Zürich, wo er zum ersten Mal eine Gruppe Jugendlicher hörte, die über kältebedingte «blaue Eier» sprachen. Dieser Ausdruck brannte sich schnell in Müllers Gedächtnis ein. Wenig später, während der Langlaufwoche in Davos, wo das Wetter zu warm und regnerisch war und der Schnee schmolz, entschieden sich Müller und seine Freunde spontan, in den See zu springen. «Das machen wir in Uster am Ostermontag und holen uns blaue Eier», rief er nach ein paar Bierchen. Und so wurde es beschlossen. Am Ostersonntag 2004 fand das erste selbstorganisierte «Blaueierschwimmen» statt – damals noch mit nur 42 Teilnehmern, heute ist die Teilnehmerzahl auf über 500 angewachsen.



Die Osterspende in Ferden – Ein Denkmal des christlichen Gemeinsinns
In Ferden, im Walliser Lötschental, bewahren die Bewohner eine Tradition, die mittlerweile mehrere hundert Jahre alt ist. Die «Osterspende» war einst im gesamten Alpenraum verbreitet, wird jedoch heute nur noch in wenigen Gemeinden gepflegt – darunter Ferden. Ursprünglich wurde Molke von zwei Julitagen zu einem speziellen Käse verarbeitet. Heute wird Frischkäse eingekauft, im Gemeindekeller zu einem feinen Brei verstampft, gesalzen und in handgefertigte Tannenrindenbehälter abgefüllt. Am Ostermontag wird der fertig gereifte «Spendziger» dann zusammen mit Brot und Wein an die Bewohner des Lötschentals verteilt.
Am frühen Morgen, nach der ersten Messe, stehen die Kinder bereits gespannt am Gemeindehaus und warten auf ihre «Spänd». Am Nachmittag sind die Gäste aus den anderen Talgemeinden an der Reihe, danach erhalten die Ferdnerinnen ihre Portion, und schließlich, am Dienstagabend, kommen die Männer von Ferden zum Zug.
Die Tradition der Osterspende reicht bis ins Mittelalter zurück, so zumindest die Sage. Der Legende nach soll nach dem Tod eines Sennen, der sich unrechtmäßig auf den Alpen bereichert hatte, ein verheerender Fluch über die Alpen Faldum, Resi und Kummen gekommen sein. Sein Geist trieb die Kühe panisch aus den Ställen und jagte sie rastlos durch das Gebirge. Nach drei Tagen kehrten die erschöpften Tiere abgemagert zurück, mit Kornähren zwischen ihren Hufen. Doch das Unheil war noch nicht vorüber: Beim Melken der ausgebüchsten Kühe floss nur noch blutige Milch. Um den Geist des verstorbenen Sennen zu besänftigen, versprachen die Alpgeteilten, jährlich die Milcherträgnisse zweier Tage an die Armen der Talbevölkerung zu spenden. So wurde die Osterspende als ein Akt der Wiedergutmachung und des christlichen Gemeinsinns ins Leben gerufen – ein Brauch, der bis heute gepflegt wird.



Kein Schauspiel für Touristen in Romont
Noch spiritueller geht es in Romont zu. In dieser kleinen Stadt im Kanton Freiburg herrscht am Karfreitag tiefste Andacht. Kein Lärm, keine Musik, keine Gespräche – eine gespenstige Stille herrscht in der Stadt. Durch die engen Gassen ziehen die Klagefrauen, in schwarze Gewänder gehüllt, mit ernsten Mienen. Auf blutroten Kissen tragen sie die symbolischen Werkzeuge, durch welche Jesus seinen Märtyrertod fand: die Dornenkrone, Nägel, eine Rute, eine Geissel, eine Zange und einen Hammer. Vor ihnen geht eine vermummte Gestalt, die das schwere hölzerne Kreuz auf ihren Schultern trägt, ein anonymer Jesus. Dahinter folgt die heilige Jungfrau Maria, die mit ihrem leidvollen Blick die Trauer und das Mitgefühl der Gläubigen widerspiegelt.
Sobald die Lesung der Bibel die Geschichte des Kreuzweges erreicht, beginnt der Passionszug und zieht sich in völliger Stille durch die Stadt. Jeder Schritt der Prozession ist von tiefer Andacht geprägt. Sechs Mal hält der Zug an ausgewählten Stationen, wo Musik erklingt und weitere Messen abgehalten werden.
In Romont wird der Karfreitag nicht nur als religiöser Gedenktag begangen, sondern als ein tief spirituelles Erlebnis, das die Gläubigen auf eine innere Reise führt. Es ist eine Tradition, die seit Jahrhunderten gepflegt wird und der Gemeinschaft der Stadt eine besondere Bedeutung verleiht. Diese Prozession ist mehr als ein Ritual. Sie ist ein Akt des Glaubens, der in seiner Stille und Hingabe die Bedeutung von Opfer und Erlösung verdeutlicht. Ein tourismuskonformes Rahmenprogramm gibt es hier auch nach über 500 Jahren Tradition nicht.

