Funkensonntag im Appenzell – so vertreibt man den Winter richtig!

Veröffentlicht von Joelina

Funkensonntag im Appenzell - © Appenzellerland Tourismus / Willy Schiegg

Ein ganzer Kanton erfüllt vom Lachen der Kinder und dem Knistern des Feuers, ein rauchiges Aroma liegt in der Luft und Rauchwolken nebeln den gesamten Kanton ein – klein genug ist er dazu immerhin. Es ist der dritte Sonntag vor Ostern, der Funkensonntag. Zeit, dass der Winter sich verzieht und Platz für den Frühling macht. In Appenzell Innerrhoden helfen die Einwohner dem Winter hierbei auf die Sprünge - mit ordentlich Feuer.

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Nach der Fasnacht ist vor dem Funkensonntag!

Schon in den Wochen nach der Fasnacht beginnen die Vorbereitungen. Kinder und Jugendliche ziehen durch die Gemeinden und sammeln überall Holz für den sogenannten «Funken». Jeder Holzstumpf, jeder Ast, jedes noch so kleine Stück wird gesammelt. Viele der Einwohner bewahren sogar bis zum Funkensonntag ihre Christbäume auf, um sie für den Funken zu spenden. Der Funken ist ein riesiges Lagerfeuer, welches in den verschiedenen Gemeinden des Kantons aufgebaut wird. Von ungeordnet aufgeschüttetem Brennmaterial bis hin zu einem 25m hohen Scheiterhaufen ist alles dabei. In der Woche vor dem Funkensonntag zeigen die Jugendlichen der Gemeinden ihre kreativen und handwerklichen Fertigkeiten. Unter Anleitung und mit Hilfe der Erwachsenen errichten sie das Herzstück des Funkensonntags. Die Spitze des Funken ziert die «Funkebaabe», eine Puppe, die ähnlich wie der Böögg in Zürich beim «Sechseleuten» mit Feuerwerkskörpern gefüllt ist und den Winter symbolisiert.

Rauch, Rauch und noch mehr Rauch

Je näher der Sonntag rückt, desto mehr steigt die Aufregung. Wenn der Funkensonntag sich dem Ende neigt, die Sonne dem Mond weicht und die idyllischen Hügel des Appenzellerlandes in Dunkelheit gehüllt werden, ist es endlich so weit. In langen Reihen ziehen die Bewohner, mit Fackeln ausgerüstet, zum Funken. Dort angekommen versammeln sie sich um den Funken herum. Gemeinsam entfachen sie das Feuer, indem sie ihre Fackeln wie überdimensionale Streichhölzer in den Funken werfen. Eine gigantische Flammenwand steigt empor, bis die Funkebaabe schließlich mit einem ohrenbetäubenden Knall explodiert. Im Quartier Ried wird das Spektakel begleitet von einem Feuerwerk, das den Himmel erleuchtet. Der Funken brennt stundenlang und taucht den ganzen Ort in ein unwirkliches Licht. Der Winter ist vertrieben und der Kanton kann nun im frisch angebrochenen Frühling neu aufleben.

Besonders kurios: Am Funkensonntag rauchen viele Jugendliche, zum Teil sogar Kinder, «zur Feier des Tages» ihre erste «Chrommi», eine krumme, lange und dünne Zigarre. Diese werden in nassem Zustand miteinander verflochten und erhalten so ihre charakteristische Krümmung.

© Funkenverein Ried Appenzell
© Funkenverein Ried Appenzell

 

«Ried lebe hoch, dreimal hoch!»

Besonders spektakulär wird es im Ried. Hier, im ehemaligen Armenviertel der Gemeinde Appenzell, ist der Funkensonntag ein Symbol für Zusammenhalt, Tradition und mit Stolz gepflegte Bräuche. Die Bewohner des «Ried» feiern mit einer Leidenschaft, die ansteckend ist. Deswegen zieht es zum Funkensonntag hunderte Schau- und Feierlustige nach Ried. Organisiert wird das Spektakel mit Volksfestcharakter vom dedizierten «Funkenverein». Die Rieder sind besonders stolz auf ihren beeindruckend großen Funken. Der Aufbau des Funken ist nicht nur ein handwerklicher Akt, sondern auch ein sozialer Moment, der die Gemeinschaft zusammenschweißt.

© Funkenverein Ried Appenzell
© Funkenverein Ried Appenzell
© Funkenverein Ried Appenzell
© Funkenverein Ried Appenzell

«Ried lebe hoch, dreimal hoch» hallt es durch die Straßen, wenn der Fackelzug zum Funkenplatz zieht. Der Fackelzug ist ein ebenso beeindruckender Teil des Festes, wie das Feuer selbst. Gemeinsam ziehen die Menschen durch die Straßen. Ihre Fackeln leuchten die Gassen aus, während sie lautstark ihren gemeinsamen Ruf anstimmen. Der Funken ist nicht nur ein Anlass zum Feiern, sondern auch ein Moment, um den Zusammenhalt der Gemeinschaft zu stärken. Für die Bewohner des Rieds ist der Funkensonntag weit mehr als nur das Vertreiben des Winters. Er ist ein tief verankertes Stück Identität und erfüllt die Gemeinde mit Stolz und einem unverwechselbaren Gemeinschaftsgefühl.

© Funkenverein Ried Appenzell

Appenzell ohne Funken - undenkbar!

Auch bei einem so bedeutsamen Ereignis spielen leider nicht immer alle Faktoren mit. Eine ständige Herausforderung für den Funkensonntag ist das Wetter. Windböen, Starkregen und Schnee verhindern oder verzögern gelegentlich das Abbrennen des Funken und das Explodieren der Funkebaabe. Je nach Wetterlage muss der Funkensonntag verschoben werden, gefeiert wird er aber auf alle Fälle – dieses Traditionsfest lassen sich die Gemeinden nicht nehmen.

Als Herausforderung der etwas anderen Art gestaltete sich zum Funkensonntag 2020. Zu dieser Zeit waren die Straßen wie leergefegt: Keine Konzerte, keine Ausstellungen, keine Restaurantbesuche. Ein Virus und Maßnahmen zu dessen Eindämmung legten den alltäglichen Trubel der Welt nahezu still und machten selbst vor dem beschaulichen Appenzell nicht Halt. Am 18. März verkündete die Standeskommission, es dürften keine weiteren Funken mehr aufgestellt werden. Bereits stehende Funken mussten jedoch am traditionellen Funkensonntag abgebrannt werden. Hierbei durften maximal fünf Personen anwesend sein. Jegliche Art von Zusammenkünften und Feiern waren untersagt. Der Funkensonntag aber solle für dieses Jahr eine ganz neue Bedeutung erhalten. Die Funken seien ein Mahnfeuer an die Solidarität der Kantonseinwohner, besonders gegenüber der Alten und Kranken. In einer Medienmitteilung der Standeskommission hieß es hierzu: «Die Funken strahlen einen Dank aus an alle, die sich zum Wohl der Volksgesundheit und der Zusammengehörigkeit einsetzen. Sie sind ein weithin sichtbares Zeichen des Mutes und der Hoffnung. Beides ist zur gemeinsamen Bewältigung dieser ausserordentlichen Lage unentbehrlich.»

Ganz ohne die Funken geht es in Appenzell Innerrhoden eben doch nicht. Vielerorts, wie zum Beispiel im Kantonshauptort Appenzell, wurde im «Virenschutz» der eigenen vier Wände das Abbrennen des Funken per Liveübertragung im TV verfolgt. Seit 2022 finden die Feierlichkeiten wieder mit allem, was dazugehört, statt – mit Freude, gutem Appenzeller Essen, tobenden (und rauchenden) Kindern und vor allem miteinander.


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