Vorbild SBB - So kann es funktionieren

Veröffentlicht von Giulia

Bahnreisen in der Schweiz

In Deutschland kennt man die Situation: Man steht am Gleis, die Uhr tickt und eine vertraute Stimme krächzt aus den Bahnhofslautsprechern. Die Bahn hat wieder einmal 20 Minuten Verspätung oder fällt ganz aus. Verspätungen und ausfallende Züge sind für viele Reisende in Deutschland ärgerlicher Alltag. In der Schweiz hingegen begegnet man einer völlig anderen Realität. Hier gelten Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit als oberstes Gebote des Schienenverkehrs. Schon bei einer zweiminütigen Verspätung blickt man in genervten Gesichter der wartenden Menschen am Bahnsteig. Wie gelingt es der Schweiz, eins der besten Bahnnetze der Welt zu betreiben und das trotz ihrer geografischen Herausforderungen? Ein Blick in die Geschichte und die Gegenwart der Schweizer Bahn liefert spannende Antworten.

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Vom Maulesel auf die Gleise

Die Eisenbahn erreichte die Schweiz vergleichsweise mit Verspätung. Während andere europäische Länder bereits im 19. Jahrhundert weite Eisenbahnnetze aufbauten, waren in der Schweiz zunächst andere Verkehrsmittel vorherrschend; Dampfschiffe auf den Seen, Pferdewagen und Maultiere auf den Kieswegen. In den 1820er-Jahren wurden erste Eilwagendienste eingerichtet, deren Fahrten jedoch lang und beschwerlich waren. Ein Beispiel: Die Strecke von Altdorf in Uri bis Bellinzona im Tessin dauerte ganze 15 Stunden. Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Schweizer von den Erfolgen der Eisenbahn in anderen Ländern inspiriert. So entstand die erste Eisenbahnstrecke, die fast ausschließlich innerhalb der Schweiz verlief. Die Verbindung von Basel zur französischen Grenzstadt St. Louis wurde 1844 eröffnet und 1845 fertiggestellt. Der Streckenabschnitt von Basel bis zur Grenze war allerdings nur rund zwei Kilometer lang. Zwei Jahre später folgte die erste, vollständig auf Schweizer Boden liegende Bahnstrecke zwischen Zürich und Baden im Kanton Aargau, die sogenannte «Spanisch-Brötli-Bahn». Eigentlich war eine längere Strecke geplant, welche aber konnte aus Kostengründen noch nicht realisiert werden konnte.

Der technische Fortschritt der Eisenbahn löste in der Schweiz Begeisterung und Hoffnung aus. Nach der Gründung des Schweizer Bundesstaates im Jahr 1848 einigten sich die Kantone auf den Ausbau eines nationalen Streckennetzes. 1857 nahm der erste Bahnpostwagen seinen Betrieb auf. In der Anfangsphase dominierte der Privatsektor den Eisenbahnbau. Man entschied sich zunächst dagegen, den Bahnverkehr in die Hände des Staates zu geben. Gesellschaften wie die «Schweizerische Centralbahn» oder die «Schweizerische Nordostbahn» trieben den Netzausbau voran. Schon nach wenigen Jahren betrug die Gesamtlänge des Streckennetzes über 1.000 Kilometer. Ein bedeutender Meilenstein war die Eröffnung der Gotthardbahn 1882, die eine erste Alpenüberquerung ermöglichte. Doch das rasante Wachstum hatte seinen Preis. Viele Bahngesellschaften und Gemeinden verschuldeten sich stark. Die Idee, die Bahn zu verstaatlichen, um dieser Verschuldung entgegenzuwirken, gewann zunehmend Befürworter. 1898 stimmte die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung dafür, die Bahn in staatliche Hand zu geben. Die Gründung der Schweizerischen Bundesbahnen, kurz «SBB», im Jahr 1902 markierte den Beginn einer neuen Ära. Seitdem hat sich die Bahnlandschaft kontinuierlich weiterentwickelt, bis hin zur vollständigen Elektrifizierung des Netzes, die 1967 abgeschlossen wurde.

«Spanisch-Brötli-Bahn» - © ETH Bibliothek Zürich Bildarchiv

5 Bausteine des Erfolgsmodell SBB

Die Schweiz genießt wegen ihres Schienennetzes weltweit einen exzellenten Ruf. Doch was macht die SBB so besonders? Ein genauer Blick zeigt, dass es eine Kombination aus strategischen Investitionen, Innovationsfreude und einem empathischen Verständnis für die Bedürfnisse der Reisenden ist.

1. Investitionen und Infrastruktur

Die Schweiz betrachtet die Bahn als Schlüssel zur Mobilität der Zukunft. Pro Kopf investiert die Schweiz umgerechnet 450 Euro im Jahr in ihr Schienennetz, also deutlich mehr als Deutschland, wo nur 114 Euro pro Kopf ausgegeben werden. Saubere und modernisierte Bahnhöfe und Züge sind das Resultat. Diese hohen Investitionen und die ständige Weiterentwicklungen lohnen sich: Das Streckennetz wird intensiv genutzt. Ein Schweizer legt mit durchschnittlich fast 2.500 Kilometern pro Jahr mehr als doppelt so viel wie ein Deutscher mit der Bahn zurück. 14,12% der Schweizer Bevölkerung nutzen täglich die Bahn. In Deutschland nutzen sie nur 8,64% der Einwohner.

Passage im Bahnhof Bern
Bahnhof Bern
© SBB CFF FFS / Dario Häusermann


2. Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit

Die SBB kann mit beeindruckenden Zahlen aufwarten. Die Pünktlichkeitsquote lag im Jahr 2024 bei 93,2 Prozent und nahezu 99 Prozent aller Zuganschlüsse werden erfolgreich vermittelt. Dieses Maß an Zuverlässigkeit wird durch einen gut strukturierten Taktfahrplan erreicht, bei dem Züge in regelmäßigen Abständen verkehren. Umstiegszeiten werden minimiert und Anschlüsse sind optimal aufeinander abgestimmt.

Fahrplan - © SBB CFF FFS / Dario Häusermann
Pünktlich,... © SBB CFF FFS / Gian Vaitl
...auch im Schnee! - © SBB CFF FFS / Dario Häusermann


3. Flexibilität und Anbindung

Selbst abgelegene Orte sind an das Bahnnetz angeschlossen. Wo dennoch kein Zug fährt, sorgen Busse, Trams oder Postautos für Mobilität ohne lange Wartezeiten. Dadurch bleibt die Schweiz auch in abgelegenen Regionen bestens vernetzt.

4. Komfort

Die Züge der SBB bieten Reisenden ein hohes Maß an Komfort. Geräumige Sitzplätze mit genügend Beinfreiheit, saubere Waggons, kostenloses WLAN und Stromanschlüsse gehören zum Standard. Besonders bemerkenswert sind die Familienwagen, die mit kleinen Spielplätzen, breiteren Türen und Wickelbereichen speziell auf die Bedürfnisse von Familien angepasst sind.

1. Klasse - © SBB CFF FFS / Gian Vaitl
2. Klasse - © SBB CFF FFS / Gian Vaitl
Familienwagen - © SBB CFF FFS / MT


5. Energieeffizienz

Die vollständige Elektrifizierung des Netzes macht die Bahn in der Schweiz zu einem besonders umweltfreundlichen Verkehrsmittel. Durch die Eigenproduktion von Strom mittels Wasserkraftwerken und Photovoltaik erzielt die SBB mehr Unabhängigkeit vom Strommarkt. Inzwischen fährt die SBB ausschließlich mit Strom aus erneuerbaren Quellen.


Grenzen des Systems

Trotz ihrer vielen Stärken hat die Schweizer Bahn auch ihre Grenzen. Hochgeschwindigkeitszüge wie in Frankreich oder Japan sucht man vergebens. Die schnellsten Züge in der Schweiz erreichen maximal 200 km/h. Dies liegt einerseits an der geografischen Struktur mit vielen Kurven, Tunnels, Steigungen und Gefälle, andererseits am begrenzten Zeitgewinn durch Hochgeschwindigkeitsstrecken in einem vergleichsweise kleinen Land.


Fazit

Die Schweiz zeigt, wie ein funktionierender öffentlicher Nahverkehr aussehen kann. Ihr Erfolgsrezept liegt in konsequenten Investitionen, einer klaren Orientierung an den Bedürfnissen der Menschen und einer effizienten Infrastruktur. Während in Deutschland Verspätungen und unzureichende Verbindungen für Frust sorgen, setzen die Schweizer auf Zuverlässigkeit, Sauberkeit, Modernisierung und Service. Ihr Modell bietet Inspiration und zeigt, dass ein leistungsfähiges Bahnnetz möglich ist.


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