Der Apéro - Das Rezept zum Erfolg der Schweiz?

Veröffentlicht von René

Entspannte Atmosphäre in Bern: spontanes «Apérölen» unter Freunden mit mobilen Apéro-Bars auf der Münsterplattform - © René Buss

Was ist eigentlich typisch Schweiz? Bräuche und Traditionen sind in der Regel bestimmten Regionen zugeordnet. Ein Alpabzug mitten in Zürich beispielsweise würde mangels Alp und Kühe wenig Sinn ergeben. Wenn die Silvesterchläuse aus dem Appenzell in einer solchen Großstadt von Tür zu Tür ziehen müssten, wären sie nach wenigen Stunden heiser vom «Zäuerle» und im nächsten Jahr noch nicht fertig. Brauchtumspflege dient dem Erhalt und der Erinnerung alter Lebensweisen, die die Gesellschaft damals prägten. Aber welche Lebensweise prägt die heutige Gesellschaft der Schweiz? Eine beneidenswerte Eigenart fällt besonders auf, weil sie im ganzen Land von allen Gesellschaftsschichten und Altersgruppen mit Freude gepflegt wird, ohne auf alte Bräuche Bezug zu nehmen: Der Apéro.

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«Moment mal», sagt der Mittelmeerraumtourist, «das gibt es doch auch in Italien und in Frankreich Obwohl eine gewisse Seelenverwandschaft nicht von der Hand zu weisen ist, gibt es doch große Unterschiede. Der Apéro ist kein appetitanregender «Apéritif», den man unmittelbar vor dem Abendessen zu sich nimmt. Er ist auch nicht mit spanischen Tapas vergleichbar. Obwohl der Apéro Essen beinhaltet, ist er keine Mahlzeit; er ist ein «Happening», das Menschen durch gemeinsamen Genuss zusammenbringt und verbindet.

Genuss verbindet - © Swiss Apéro

Was ist ein Apéro?

Gewöhnlich am Nachmittag oder am frühen Abend findet ein Apéro statt. Freunde treffen sich und «apérölen», Arbeitskollegen läuten damit gemeinsam den Feierabend ein, Familientreffen werden mit einem Apéro gemütlich eröffnet, Feste und andere offizielle Anlässe - eigentlich lässt man keine Gelegenheit für einen Apéro aus. Er lockert und hebt die Stimmung und bietet Gelegenheit zu ungezwungenen Gesprächen, zu denen im normalen Alltag die Gelegenheit fehlt. Anlass meines ersten Apéros war sogar eine Beerdigung im Wallis. Die Stimmung an einer Beerdigung zu heben, mag zwar etwas befremdlich klingen; an diesem Tag war es jedoch allen eine große Hilfe. Eine große Platte feinster Walliser Spezialitäten wie Trockenfleisch, Käse und Wein wurden bei bestem Wetter serviert und jeder Gast konnte sich nach Belieben daran bedienen. Teller braucht man nicht. Hin und wieder greift man einfach zu und nascht etwas. Diese guten Fingerfood-Köstlichkeiten alleine zaubern schon ein Lächeln ins Gesicht und erleichtern somit so manches Gespräch. Ein gewöhnlicher «Beerdigungskaffee» schafft das nicht.

«Moment mal», sagt der Bayer, «des is doch a Brotzeit Obwohl in der Regel auch Wurst und Käse serviert wird, ist Brot nicht zwingend notwendig. Wurst und Käse in Scheiben zu schneiden und damit praktisch automatisch ein Brot - natürlich ebenfalls in Scheiben geschnitten - zu belegen, ist eher eine deutsche Eigenart. Fein aufgeschnittes Trockenfleisch käme auf einem Brot kaum zur Geltung. Wie das Brot beim Apéro, so fehlt meistens auch die gesellschaftliche Komponente bei der Brotzeit. Ein Apéro ist eben keine Mahlzeit. Er dient bestenfalls dazu, ein mögliches Hungergefühl zu besänftigen und ist viel mehr eine «genüssliche Verkostung bester Produkte» als ein Essen, um etwas zu essen bis man satt ist. Das Abendessen ersetzt ein Apéro in der Regel nicht, dafür darf dieses dann etwas kleiner ausfallen. Wenn ein später Apéro ein Abendessen ersetzen soll, wird er explizit als «Apéro riche» (dt.: «reichhaltig») deklariert und beinhaltet auch Suppen, warme Blätterteighäppchen und andere Sättigungsbeilagen.

Mehr Zeit für Zwischenmenschliches als Brotzeit - © Swiss Apéro

Was wird zum Apéro serviert?

Beim klassischen Apéro dürfen die Zutaten gerne abwechslungsreich variieren. Gerne werden als Highlight regionale Wurst- und Käsespezialitäten wie zum Beispiel Bündnerfleisch und Hobelkäse gereicht. Als weltweiter Vorreiter in puncto Tierwohl, ist die Schweiz berechtigterweise sehr stolz auf deren Qualität. Dazu passen natürlich hervorragend sauer eingelegte Cornichons, aber auch mediterrane Antipasti sind sehr beliebt. Käsegebäck, Chips, Nüsse und Salzstängeli als salzige Komponente und Gemüsesticks als milde Erfrischung runden das Arrangement perfekt ab. Oft findet man auch gewisse Teatime-Häppchen nach englischem Vorbild wie Frischkäse und Salatgurke oder Räucherlachs auf kleinen Toaststücken. Wie üppig das Angebot ausfällt, hängt ganz von der Anzahl der «Aperöler» und dem Anlass ab. Ein Apéro an einer Hochzeit hat entsprechend erlesenere Spezialitäten im Angebot, als ein Apéro unter Freunden, die sich nachmittags in der Stadt treffen, aber überall trinkt man dazu einen guten, leichten Schweizer Wein oder auch andere, meist alkoholhaltige Getränke. Ihren Anteil an der guten Stimmung muss man nicht hinterfragen und es ist davon auszugehen, dass dieser nur gering ist.

Ein klassisches Apéro-Plättli mit Bündnerfleisch und Käsespezialitäten - © René Buss

Woher kommt der Hang zum Apéro?

Die Herkunft des Apéros ist kaum nachvollziehbar, da er sich, wie bereits erwähnt, nicht auf alte Bräuche und Traditionen bezieht. Aber schon vor einigen Jahrhunderten trafen sich Schweizer, um ihre Spezialitäten zu präsentieren. Wenn nach einigen Wochen im Winter das Fleisch fertig getrocknet war, wurde es stolz mit der Familie oder der Dorfgemeinschaft verkostet. Bei der Chästeilet wurde der fertige Käse des Alpsommers aufgeteilt und verkostet. So hatten alle miteinander die seltene Gelegenheit, sich besser kennenzulernen und auszutauschen. Im Laufe der Zeit haben sich die Anlässe entsprechend dem Wirtschafts- und Gesellschaftswandel geändert, aber das Prinzip des freundlichen Austausches hat sich umso stärker ausgeprägt. Man könnte also den Apéro schon fast als «eine Art Kleber» bezeichnen, die die Schweizer zusammenhält und somit ein wichtiger Teil ihres Erfolgsrezeptes ist. Nicht selten wurden und werden in der Geschichte des Apéros auch wichtige Geschäftskontakte geknüpft und gute Geschäfte gemacht, wobei besonders ausdrücklich betont sei, dass das «G'schäftlimache» beim Apéro nicht der Hauptzweck, sondern das spontane Ergebnis einer frisch entstandenen Vertrauensbasis durch persönliche Annäherung ist.

Die Mannigfaltigkeit der Anlässe, die einen Apéro ermöglichen, ruft selbstverständlich auch schweizweit eine mannigfaltige Apéro-Branche auf den Plan. Viele Metzgereien, Bäckereien und Restaurants bieten extra «Apéro-Catering» an, an öffentlichen Plätzen in den Städten tauchen im Sommer «Apéro-Mobile» auf und «Apéro-Bars» haben ganzjährig Hochkonjunktur. Selbst Musiker, die lieber zum Abendessen wieder rechtzeitig zu Hause sind, anstatt die halbe Nacht zu schaffen, lassen sich als «Apéro-Bands» engagieren und sorgen für passende Hintergrundmusik. Daran merkt man schon, wieviel Wert darauf gelegt wird, für ein perfektes Gesamtpaket mit der richtigen Gemütlichkeit zu sorgen, um sich wertvolle Zeit für seine Mitmenschen zu nehmen und gemeinsam bewusst zu genießen. Wie schon damals eine weise, ältere Dame beim Beerdigungs-Apéro zu mir sagte, ist «Zeit, das schönste und kostbarste Geschenk, dass man einander machen kann.»


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